Wie alles begann
Ein denkmal- und feuerpolizeilich geschützter Flurleerraum, der um einen vom Tageslicht abgeschotteten Hörsaal gruppiert war, sollte mit seiner Glas- und Betonfaszination die Studierenden zu einer flanierenden Entspannung animieren, da außer Holzblumenbänken ohne Pflanzengrün keine glaskäfigbelebenden Requisiten existierten. Diese kafkaeske Räumlichkeit also animierte mich 1983, mit der Fachschaft Deutsch eine bescheidene hochschulrevolutionäre Aktion zu starten:
Eine dieser freien Glasbetonflurecken im l. Stock des L-Gebäudes wurde mit Sperrmüllkostbarkeiten (Sofas und Sesseln etc.) und mit in der [Eglosheimer] Nachbarschaft gespendeten Pflanzenkübeln ausgestattet. Begabte Studenten des zweiten Bildungsweges, die nach ihrer Handwerkerqualifikation über die berühmte »Eignungsprüfung« die Studienqualifikation an der Pädagogischen Hochschule erlangt hatten, bastelten zum Teil mit den Hausmeistern (erlaubt oder unerlaubt, es blieb unaufgeklärt) ein paar Holzpodeste und Kunststudenten beklebten und verdunkelten die denkmalgeschützte Glasfront - und siehe da: mit einer Kaffeemaschine, Sammeltassen und »erworbenem« Cafeteriageschirr wagte sich diese Ecke als »Literatur-Cafe« der Fachschaft Deutsch zu etikettieren.
Helles Entsetzen, skeptisches Kopfschütteln, neugieriges Beschnuppern und engagiertes Nachfragen erlebte diese »Schmuddelecke«. Nachdem sich das Podium literarisch mit Künstlern der Kleinkunstszene aus ehemaligen Esslinger Seminarkontakten belebte, fand diese Hochschulkuriosität einen unerwarteten Zuspruch, auch für »Kulturfreaks« aus der Stadt. Nachdem sogar etablierte Künstler mit reduzierten Gagen finanziert werden konnten: u. a. Uli Keuler, Thomas Felder, Christoph Stählin, Gerd Schinkel, Wolfgang Höper, Eva Vargas, die Galgenstricke, Thaddäus Troll, Peter Härtling, Johannes Poethen, Anne Birk, Peter Bichsel, Hilde Domin, kam Presse und es wurden auch ein paar Hochschullehrer gesichtet.
Nachdem die Papierbahnen durch Stoffbahnen an den Fenstern ersetzt waren, die Sperrmüllsofas auf eine hygienische Auswahl reduziert, Seminarbestuhlung dazu kam und aufgrund der engagierten Förderung des Projekts durch den Verein der Freunde der Pädagogischen Hochschule das Geschirrspülritual aus dem WC-Waschraum an eine gesponserte Theke verlagert werden konnte, gab es tolerante Absicherung dieses improvisierten Literatur Cafes seitens des Rektors, des Senats und sogar des Hochbauamtes.
Besonders in der Zeit anhaltender Lehrerarbeitslosigkeit und zurückgehender Studierendenzahlen florierte das Literatur-Cafe, lockte junge unbekannte Künstler und auch Ludwigsburger Publikum. Foyergestaltung und Bühnenlicht sowie Trennstellwände vervollständigten langsam die Raumwirkung. Die PH-Abteilung des Ministeriums, die einen Besuch abstattete, begann bescheiden, aber regelmäßig das Projekt zu fördern. Manchmal denken wir nostalgisch an die studentische Neugier und das Besucherengagement der Gründerjahre, wenn bei der stark gestiegenen Deutschlehrerstudierendenzahl die Besucherquote heutzutage lahmt, wenn nicht bekannte Künstler oder Bewegungskunst locken. Aber auch hier warten wir geduldig auf eine der sich immer schneller einstellenden Trendwenden.
Wer das heute neu platzierte Literatur-Cafe, nach den Umbaumaßnahmen im Luftgeschoss (L-Gebäude I. Stock), aufsucht, wird eine perfekte Verdunkelung, neue Möblierung, Bühneninstallation und demnächst eine neue Theke entdecken, dessen Komplettierung durch eine neue Foyerausstattung angestrebt wird. Eine Hoffnung ist mit dieser Renovierung auch verbunden, dass ein schonenderer Umgang mit dieser weiterhin ungeschützten Kultur- und Kommunikationsnische der Pädagogischen Hochschule gepflegt wird.
Aus der so genannten Nische ist mittlerweile ein Kommunikations-, Freiarbeits- und Veranstaltungsbereich geworden, der aus dem kulturellen und sozialen Raumhaushalt der Hochschule nicht mehr wegzudenken ist und der zu den verschiedensten Aktivitäten animiert - bis jetzt immer noch aufopfernd betreut von der Fachschaft Deutsch in Koordination mit dem Institut für Sprachen, in deren Auftrag ich an der Weitergestaltung engagiert bin.
Der so genannte Bühnenraum aktivierte aber auch zu einer theaterproduktiven Initiative, die ich mit der Gründung des »Podiumtheaters im Literatur-Cafe« offerierte, um mit diesem Literaturbrettl auch eine Brücke zum Spiel- und Theaterpädagogikstudiengang vor allem im Erweiterungsstudienfach für Lehramtsstudierende zu institutionalisieren.
Aus: Harald Vogel (2001): »Podiumtheater«, »Literatur-Café«, »Werkstatt Lyrik«, »Lyrik-Bühne«: Hochschuldidaktische Wege in den öffentlichen kulturellen Raum. In: W. Heinrichs/ A. Klein (Hrsg.): Deutsches Jahrbuch für Kulturmanagement 2000. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft, S. 206-208