Prof. Dr. Ursula Stinkes (Projektleitung)
Prof. Dr. Sophia Falkenstörfer (stellvertretende Projektleitung)
Philipp Seitzer (Projektmitarbeiter u. Doktorand)
Pädagogische Hochschule Ludwigsburg
2020 - 2024
Im Forschungsprojekt werden zwei dringende Fragen der aktuellen Wissenschaft und Praxis der Heilpädagogik für Menschen mit schwerer Behinderung bearbeitet, in denen sich empirische, methodologische und philosophische Problemstellungen verzahnen. Zum einen wird danach gefragt, wie sich das Körpergespräch zwischen Menschen (mit und ohne schwere Behinderung) beschreiben und konzeptionell erfassen lässt. Im Fokus der Untersuchung steht das Körpergespräch, das sich als zugrundeliegende Idee verschiedener in der fachlichen Praxis relevanter körperbezogener Ansätze ausweisen lässt (Basale Stimulation und Kommunikation; sensomotorische Kooperation; Atemdialog; elementare Beziehung, etc.). Dieses wird in schulischen sowie zum Vergleich in osteopathischen Feldern untersucht und gegenübergestellt. Das Projekt hat somit einen empirischen und einen wechselseitig damit verbundenen methodologischen Schwerpunkt. Einerseits geht es um die empirische Beforschung des Körpergesprächs in schulischen und osteopathischen Feldern nach der Methode der phänomenologischen Vignetten- und Anekdotenforschung, andererseits um die Weiterentwicklung und Verfeinerung der Methode, in Bezug auf heilpädagogische Gegenstands- und Problemfelder. Die Herausforderung, die von der Sache des Körpergesprächs ausgeht, besteht methodologisch gesehen in der Frage nach Möglichkeitsbedingungen der Transformation außersprachlicher und präreflexiver Phänomene in die Sprache heilpädagogisch-wissenschaftlicher Reflexion. Diese Frage erweist sich als zentral und richtungsweisend für die Wissenschaft der Pädagogik bei schwerer Behinderung.
Die Pädagogik der schweren Behinderung arbeitet bereits seit Jahrzehnten mit einer Reihe von körperbezogenen Ansätzen im Grenzbereich von Therapie und Pädagogik (Basale Stimulation; sensomotorische Kooperation; Atemdialog; elementare Beziehung, etc.), die vor allem bei Menschen mit schwerer Behinderung, die nicht über Sprache verfügen, zur bildenden Förderung eingesetzt werden. In diesem Zusammenhang stellen die Arbeiten von Pfeffer (1983) und Fornefeld (1987) eine Ausnahme dar, insofern sie den Körperdialog mit Menschen mit schwerer Behinderung vor dem Hintergrund einer leibphänomenologischen und pädagogischen Sichtweise beschreiben und reflektieren. Das ist keine unerhebliche Spur, weil die beiden Konzepte versuchen, den Leib als Ausdrucksmedium buchstäblich ‚zur Sprache‘ kommen zu lassen. Das heißt (Alloa 2013),“ Körperlichkeit wird in dieser Sichtweise nicht als bloß ausgedehnte ‚Substanz‘ verstanden, sondern als ‚fungierende‘ Körperlichkeit (= Leiblichkeit). Leibphänomenologie unterscheidet zwischen Körper und Leib. Anders als körperliche Dinge ist der Leib ein besonderer Körper, weil er niemals ganz in den Blick genommen werden kann. Gerade dann, wenn er als Leib fungiert, rückt er nicht selbst in den Fokus der Aufmerksamkeit. Wenn seine Abläufe gestört werden (bspw. wenn eine Erkrankung des Herzens vorliegt oder profan: mein Arm eingeschlafen ist…), erscheint er in seiner Dinghaftigkeit. Während körperliche Dinge erschließbar sind (man geht um sie herum, vermisst sie, diagnostiziert sie etc.), bleibt der Leib grundsätzlich unerschöpflich. Er ist nicht als Gegenstandskategorie zu verstehen, sondern als Sinnkategorie“. Der Körper birgt aber nicht Sinn ‚in‘ sich und der Körper ‚drückt‘ ihn dann in einem expressiven Akt nach außen; vielmehr erschließt sich durch das leibliche Handeln, durch den leiblichen Dialog mit anderen ‚Sinn‘. Leiblich sein heißt daher: Körper-in-Beziehung-mit-anderen (Küchenhoff) sein. Sich über den Körper ausdrücken, über den Körper zu ‚sprechen‘ wäre dann eine Art Sprache, die man spricht, aber nicht lernt (vgl. Waldenfels 2007; Alloa 2013). Der Körper ist immer Körper in Verbindung zum anderen Körper, er ist nicht ein einsamer Körper, sondern einer, der in Interaktionen und aus diesen heraus lebt. Das Erleben der eigenen Körperlichkeit baut auf geteilten Körpererfahrungen auf. Es ist eine geteilte Erfahrung, die wir sonst nur aus der sprachlichen Verständigung kennen. Diese Einsichten bilden den bisher oftmals impliziten theoretischen Hintergrund der oben genannten praktischen Konzepte. Bislang wurden sie jedoch weder systematisch auf ihren bildungsphilosophischen Gehalt hin entfaltet noch durch empirische Forschung untermauert. Um einen bildungsphilosophisch gehaltvollen, konzeptionell und praktisch anschlussfähigen und empirisch validierbaren Bildungsbegriff für Menschen mit schwerer Behinderung zu erhalten, erscheint dies jedoch unerlässlich.