Urteilsfähigkeit wird in der sozialwissenschaftlichen Didaktik als ein wichtiger Bestandteil des Ziels der Mündigkeit angesehen. Wie aber lässt sich Urteilskompetenz bei Schülerinnen und Schülern im Unterricht effektiv aufbauen? Dies soll mit besonderem Bezug zu wirtschaftspolitischen Fragestellungen untersucht werden.
Wenn man „Kompetenz“ mit Weinert definiert als „die bei Individuen verfügbaren und durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“, dann sind im Bereich der Urteilskompetenz sowohl die „Bereitschaften“ als auch die „Fähigkeiten“ als mögliche Hürden zu identifizieren: Wie motiviere ich Schülerinnen und Schüler dazu sich selbst ein Urteil zu bilden? Wie befähige ich Schülerinnen und Schüler dazu, ein eigenständiges Urteil zu fällen?
Der Aufbau von Urteilskompetenz in Bezug zu wirtschaftspolitischen Fragestellungen muss als besonders herausfordernd für Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler angesehen werden. Der Unterricht findet hier vorwiegend „auf der Systemebene“ statt. Das bedeutet, dass sich auch Urteile seltener auf das Verhalten Einzelner beziehen, sondern wirtschaftspolitische Entscheidungen unter Berücksichtigung makroökonomischer Zusammenhänge zu beurteilen sind (Komplexität). Selbst wenn diese Thematik erst, wie zumeist üblich, in der Klassenstufe 10 behandelt wird, gibt es für die Schülerinnen und Schüler zudem altersbedingt wenige Berührungspunkte mit der eigenen Lebenswelt. Für ihre zukünftigen Rollen als mündige Steuerzahler oder Wählerinnen ist der Aufbau von Urteilskompetenz allerdings von großer Wichtigkeit.
Wie aber läuft Urteilsbildung im realen Ökonomieunterricht ab? Welche Voraussetzungen (Wissen und Einstellungen) werden mitgebracht? Welche Erwartungen werden formuliert, welche Unterstützungen werden angeboten? Welche Vorstellungen gibt es bei Schülerinnen, Schülern und Lehrpersonen darüber, was beim Urteilen verlangt ist? (Urteil vs. Meinung) Welche individuellen Strategien wenden Schülerinnen und Schüler in Situationen (im Unterricht und in Prüfungen) an, wenn von ihnen ein Urteil verlangt wird? Inwiefern tragen Unterrichtsmaterialien und -methoden dazu bei, motivationale und kognitive Hürden abzubauen?
Ausgehend vom aktuellen Forschungsstand und eigenen empirischen Erhebungen sollen zuletzt Materialien, Aufgaben und verschiedene Hilfestellungen entwickelt und evaluiert werden, die dazu beitragen können, Motivation und Fähigkeit zur Urteilsbildung aufzubauen.