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Projektseminar „Demokratie zwischen Spiel und Game: Leitmetaphern und Praktiken demokratischer Co-opetition – analog und digital“

Projektbeschreibung:

Als Donald Trump 2016 überraschend zum US-Präsidenten gewählt wurde, lautete eine originelle Vermutung, die Sozialisierung durch Computerspiele habe die Risikobereitschaft der jüngeren WählerInnen bedenklich gesteigert. Wie im Computerspiel werde auch hier der Neustart des demokratischen Spiels als unhinterfragte Option vorausgesetzt – jedes Game Over könne, so der trügerische Eindruck, durch einen Neudurchlauf kompensiert werden. Dass komplexe institutionelle Arrangements auch ein für alle Mal kaputt gehen können, werde unsichtbar hinter einer glitzernden Gamification der Gesellschaft. Demokratie - just a funny game?

Derartige Spekulationen über die Haltungen von WählerInnen und ihre Ursachen sind kaum wissenschaftlich zu belegen. Und doch verweisen sie aus gutem Grund auf den historisch weit zurückreichenden Nexus von Demokratie und Spiel. Das Spiel als Metapher für Kontingenz, für regelgeleitete Überaschungsoffenheit, als Modell für ein komplexes Ineinander von Konkurrenz und Kooperation (also Co-opetition), steht nicht zufällig im Zentrum zahlreicher politischer Theorien oder aufklärerischer Fortschrittsgeschichten. Nur im Spiel sei der Mensch tatsächlich bei sich, ist bei Schiller zu lesen; hier werde er gleichermaßen zur Freiheit und zur Zivilität erzogen. Auch bei Johan Huizinga oder D. W. Winnicott ist die Idee des Spiels mit positiven Attributen belegt. Ähnlich wird bei Hans Georg Gadamer das Spiel zum Paradigma des Verstehens: Es steht für eine gelingende Integration von Offenheit und Geschlossenheit, Freiheit und Regel, Unberechenbarkeit und Verlässlichkeit. Als Spiel der Co-opetition lässt sich daher die Demokratie in einem emphatischen Sinne verstehen und die Erziehung zur Demokratie als Einführung in ein Spiel konzeptionalisieren.

Ganz anders überblendet eine zweite Traditionslinie die Begriffe Spiel und Politik: Seit Machiavelli kann man den Kampf um Macht auch als Spiel beschreiben, in dem Hinterlist, Kniffe und schnell wechselnde Allianzen dominieren. Politik- und auch Demokratie – wäre aus dieser Perspektive gerade ein „dreckiges Spiel“, das nur den Krieg ersetzt, ihm vorausgeht oder nachfolgt, und ihn als zivilisierte Variante immer schon und immer noch in sich trägt. Eine Redewendung wie „Man muss das Spiel mitspielen“ legitimiert dann gerade die Regelverletzung und die beständige Ausweitung rhetorischer und anderer Kampfmittel. Auch in der Beschreibung der Konkurrenz von Imperialmächten in Asien oder auf dem Balkan war die Metapher vom great game zu finden: das Machtspiel, in dem die Menschen nur Figuren auf einem Spielbrett sind. Die Spieltheorie setzt diese Intuition in einen Analyserahmen um, der heute weite Teile der diplomatischen Praxis bestimmt: Zur Vorbereitung auf schwierige Verhandlungen werden Varianten „durchgespielt“ wie Eröffnungen in einem Schachlehrbuch.

Der Übergang vom analogen „Spiel“ zum digitalen „Game“ und dessen Bedeutungen für die Demokratie sollen im Zentrum einer Tagung stehen, die den Begriff „gamification“ aus der Perspektive der politischen Theorie und der politischen Bildung thematisiert. Wie unterscheiden sich digitale Spiellandschaften von ihren analogen Vorgängern? Und wie wirkt sich dieser Übergang auf die politische Praxis wie die politische Bildung aus? Die geplante Tagung will diese Fragen in drei thematischen Blöcken diskutieren:

  1. Spiel und Demokratie aus Perspektive der Politischen Theorie: Welche Bedeutung kommt der Spiel-Metapher für demokratietheoretische Erwägungen zu?
  2. Vom Spiel zum Game: Welche Kontinuitäten, welche Innovationen verbinden sich mit der Digitalisierung der Spielpraxis? Welche politischen Dimensionen haben Computerspiele; auf welche Weise ist Politik in diesen Spielen repräsentiert?
  3. Gamification in der politischen Bildung: Wie lässt sich gamification in der politischen Bildung nutzen? Welche Potenziale, welche Gefahren gehen mit diesem Trend einher? Hierzu sollen exemplarische Fallstudien und empirische Studien zur Wirksamkeit von Games vorgestellt werden.

Weitere Informationen finden Sie hier.

 

Laufzeit: 2020-2021

Förderer: Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg

Projektleitung