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Buchempfehlungen

Jeden Monat stellt die STUBE, Studien- und Beratungsstelle für Kinder- und Jugendliteratur (Wien), ein besonderes Kinder- und Jugendbuch aus der aktuellen Produktion vor.

Weitere Informationen zur STUBE: www.stube.at

Dort sind auch alle Kröten der vergangenen Monate zu finden.

Mit herzlichem Dank an die STUBE-Redaktion, die uns die Inhalte zur Verfügung stellt.

Kröte im Januar 2025

Jonas Tjäder und Maja Knochenhauer: Buchstabenhausen

Im Q wird geköchelt auf Öfen mit Gas
Überall Kessel und Quinoa im Glas
Köstliche Düfte, Koriander und Lauch
Schleckermäuler reiben sich draußen schon den Bauch
Hier steh’n wir Schlange zwischen Hipstern mit Mütze
Jeder verzehrt sich nach Quinoagrütze
Schmackhafte Speisen mit leck’ren Gewürzen
Servieren uns freundliche Kellner in Schürzen

Das mysteriöse Q, von dem hier die Rede ist, ist selbstverständlich eine Quinoakocherei und damit eine der 26 Räumlichkeiten, die Jonas Tjäder und Maja Knochenhauer in ihrem Debüt „Buchstabenhausen“ vorstellen.

Das Architekt*innenpaar verbindet in diesem Bilderbuch ihren Beruf mit dem bewährten Konzept des ABC-Buches. Vom normalerweise vorhandenen schulmeisterlichen Beigeschmack dieser mitunter etwas antiquierten Art des Kinderbuches ist hier nichts zu spüren, stattdessen sticht die konzeptuelle Originalität sofort ins Auge. In alphabetischem Rahmen wird Architektur und Lyrik miteinander verbunden – auf jeder Seite wird ein anderes, wimmelbildartig ausgestaltetes Haus in Buchstabenform abgebildet, das wiederum im Anschluss in Form eines Gedichts beschrieben wird.

Das Buch beschränkt sich nicht auf die Beschreibung von Räumlichkeiten, die der Lebenswelt vieler Kinder entsprechen, sondern greift ein breiteres Spektrum auf.  Räumlichkeiten wie Kindergarten, Zoo und Bibliothek werden wie selbstverständlich Seite an Seite mit Atelier, Oper und Universität gezeigt.

Das schwedische Paar wollte nach eigenen Angaben Architektur für Kinder zugänglich machen und ihnen gleichzeitig beim Erlernen des Alphabets helfen. Für zweiteres brechen die Autor*innen sogar mit einem der Grundsätze der Architektur, nämlich mit dem Leitspruch „Form folgt Funktion”. Die von ihnen bis ins kleinste Detail ausgestalteten Räumlichkeiten passen sich nicht an ihre Funktion, sondern an den jeweiligen Buchstaben, den sie darstellen, an. So müssen sich die stilisierten Figuren, die im Supermarkt einkaufen wollen, an den Regalen festhalten und sich mühsam nach oben ziehen, um heiß ersehnte Kaisersemmeln und Kaffeebohnen in ihren Wagen legen zu können. Beeindruckend sind auch die akrobatischen Fähigkeiten, welche im Yogastudio zu sehen sind. Weil die Basis des Buchstabenhauses doch sehr klein ist, türmen sich einfach vier Figuren aufeinander und sind dabei auch noch so tiefenentspannt, dass ihnen gar nicht auffällt, dass die Decke des Papierhauses mittlerweile Feuer gefangen hat.
Die durch dieses Konzept entstandenen Gebäude sind nicht nur komplizierte Meisterwerke, sondern haben außerdem den Vorteil, die Buchstabenform, um die es schließlich auch geht, im Fokus zu behalten.

Jonas Tjäder, der den illustratorischen Teil des Buches übernahm, hat an diesem ganze sechs Jahre gearbeitet. Es hat sich auf jeden Fall gelohnt: die Zeichnungen strotzen nur so von verspielten Details. Es stellt sich zum Beispiel heraus, dass die v-förmige Villa das Hauptquartier der Kunstdiebe ist, die bereits aus dem Bild zum Atelier und zum Museum bekannt sind. Auch das Gemälde von Lego-Köpfen im Stile Andy Warhols, die zwei der Figuren die Treppe nach oben tragen, erkennen aufmerksame Beobachter*innen wieder. Aber Achtung: zwei Mitarbeiterinnen der Polizeistation sind mittlerweile auf die Diebe aufmerksam geworden und schleichen sich bereits an das Haus heran.
Als wären diese Details nicht genug, berücksichtigt Tjäder sogar Licht- und Schattenwurf aller noch so kleinen Objekte in seinen Zeichnungen. Die Aufmerksamkeit wird dabei stets bewusst auf den Raum gelenkt: während Einrichtung und Baustruktur mit absoluter Präzision erfasst werden, werden die agierenden Figuren stilisiert dargestellt und treten dadurch in den Hintergrund.

Nicht nur optisch, sondern auch sprachlich ist „Buchstabenhausen“außergewöhnlich. Lyrik ist inzwischen auch in der Kinderliteratur häufig anzutreffen, weniger häufig ist jedoch die Lyrik über derartige Nischenthemen wie Räumlichkeiten. Dabei ist gerade Raum kulturell und oft auch politisch aufgeladen und somit ein idealer Ausgangspunkt für Gedichte. Und Knochenhauers Gedichte schaffen es, tiefgründige Überlegungen feinsinnig und humorvoll zu verpacken. So heißt es beispielsweise zum Delfinarium:

Prächtige Tiere im Scheinwerferlicht
Die trillern und keckern mit Lächelgesicht
Sie springen durch Ringe, schwimmen hin, tollen her
Und sehen sich schmerzlich nach Freiheit und Meer!

Beachtenswert ist außerdem die Vielfalt an Fremdwörtern, mit denen die Gedichte an passenden Stellen gespickt sind: In der Oper singt die Primadonna in Moll, im Museum wird gefachsimpelt und im Atelier fleißig an einer Plastik gemeißelt. Trotz dieser inhaltlichen Dichte eignet sich das Buch durchaus für Erstleser*innen und vor allem zum gemeinsamen Lesen mit Volkschulkindern, immer wieder werden nämlich auch interaktive Elemente in Form von einfachen Rätseln in das Buch eingebaut. Außerdem verbergen sich in jeder Zeichnung Tiere mit demselben Anfangsbuchstaben der Räumlichkeit, die gesucht werden können.

Sollten Sie also einer Person dabei helfen wollen, dem trockenen Erlernen des ABCs etwas mehr Würze zu verleihen, oder gar selbst nach einer Alternative zum schnöden Buchstabieralphabet suchen, empfehle ich Ihnen dieses Buch.

Rezension von Marie Lechner