Jörg Michael Kastl
Generalität des Körpers
Maurice Merleau-Ponty und das Problem der Struktur in den Sozialwissenschaften
1. Auflage 2021
broschiert
350 Seiten
22.2 x 14 cm
ISBN 9783958322233
BESCHREIBUNG
»Der gemeinsame Stoff, aus dem alle Strukturen bestehen, ist das Sichtbare«. Die Geltungsansprüche soziokultureller Sinnstrukturen setzen stets eine offene Generalität der Körper, ihrer Grammatik und ihrer sensomotorischen Korrelationsmatrices voraus. Sprache, Kommunikation und Gesellschaft bleiben körpergebunden und sind daher nicht als Systeme, sondern nur als Felder sozialer Praxis mit Reichweiten, Anonymitätszonen und Horizonten versteh- und analysierbar. Diese Thesen im Zusammenhang einer Revision der soziologischen Lektüre des Werkes von Merleau-Ponty zu konkretisieren, ist das Anliegen des Buches.
Bis heute wird übersehen, dass dieser bereits in den 1950er Jahren die Transformation eines romantischen in ein strukturales Körperkonzept vollzog. Damit verbunden ist die Konzeption einer soziokulturellen Semiogenese, die sich als komplementär zu Alfred Schützs Fundierung verstehender Soziologie auffassen lässt. Sie weist in die Zukunft, insofern sie ein Verständnis soziokultureller Strukturen im Kontext einer integrierten Gedächtnistheorie und –Forschung nahe legt.
Dieses Programm lässt sich auch als vorweggenommene Kritik eines Konzepts (deutscher) »Leiblichkeit« lesen, das mittlerweile Eingang in die Soziologie gefunden hat und mit dem Namen Hermann Schmitz verknüpft ist. Interessant ist die Linie zu den aktuellen soziologischen Praxistheorien. Pierre Bourdieu konnte wesentliche Elemente seines praxeologischen Ansatzes den Vorlesungen Merleau-Pontys entnehmen, allerdings bleibt dieser Einfluss und mit ihm die Brüche in Merleau-Pontys Denken unterreflektiert. Das erklärt das Nebeneinander von romantischem Körperkonzept und strukturalistischem Vokabular in Bourdieus Praxistheorie, das bis in die heutige soziologische Theoriediskussion nachwirkt.
Die Studie entdeckt Merleau-Ponty als Kritiker eines romantischen Körperkonzepts, als Cartesianer gegen den Strich, als Gedächtnis-, Sprach- und Strukturtheoretiker neu. Seine Vorlesungen der 1950er Jahre hinterfragen Grenzziehungen der »Menschenwissenschaften« (Elias) und eröffnen Perspektiven eines interdisziplinären Verständnisses von Natur, Kultur und sozialer Struktur jenseits von Naturalismus, Kulturalismus und Strukturalismus.
JÖRG MICHAEL KASTL
Jörg Michael Kastl ist Professor für Soziologie der Behinderung und sozialer Benachteiligung an der Fakultät für Sonderpädagogik der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. Er war Assistent am Soziologischen Institut der Universität Tübingen und habilitierte sich 1999 für das Fach Soziologie. Schwerpunkte seiner Arbeit bilden die Allgemeine Soziologie und soziologische Theorie sowie die Soziologie des Körpers, des Gedächtnisses, der Behinderung, psychischen Erkrankung und Rehabilitation.
Veröffentlichungen:
Einführung in die Soziologie der Behinderung, VS-Verlag 2017.
Grenzen der Intelligenz. Die soziologische Theorie und das Rätsel der Intentionalität, Fink-Verlag 2001.
Unter dem Link https://lisa.gerda-henkel-stiftung.de/merleauponty_kastl findet sich ein ausführliches Interview zu dem 2021 erschienenen Buch "Generalität des Körpers".
Zu dem Buch gibt es im Rahmen eines sogenannten "Symposions" zwei kontroverse Rezensionen in der Ausgabe 2/2022 der Soziologischen Revue (hier der Link!). Zu der "Hermann-Schmitz-Kontroverse" mit Robert Gugutzer ist im Heft 3/2022 der Soziologischen Revue mittlerweile eine Replik von Jörg Michael Kastl erschienen (hier der Link!vgl. dazu auch das Editorial des Herausgebers der Soziologischen Revue).
Eine weitere Besprechung des Buches ist im Januar 2023 in der Zeitschrift Theoretische Soziologie von Gerd Sebald unter dem Titel: "Körper - Struktur und Gedächtnis" erschienen (Zeitschrift für Theoretische Soziologie (ISSN 2195-0695), Ausgabe 2, Jahr 2022, Seite 145 - 148).